Einsam warte ich unter hunderten von anderen ...

Am Wochenende vom 30. April/1. und 2. Mai zeigten wir unsere neue Produktion „es war einmal…“. Inspiriert von einem Rundgang durch das romantische Schloss Jegenstorf entschlossen wir uns, das Schloss in unser nächstes Tanzprojekt einzubeziehen. Ausgerüstet mit Filmkamera und Musik haben wir an einem Wochenende im November 2003 im Schloss getanzt. Begleitet hat uns auch ein historisches Kleid:

Einsam warte ich unter hunderten von anderen. Sie müssen nämlich wissen, wir sollen heute verkauft werden. Ist das nicht traurig? Eine Saison habe ich im Stadttheater Bern hart gearbeitet und nun werde ich verkauft! Die Spannung steigt, ich recke und strecke mich, um einen Blick auf die wartende Menschenmenge vor den Eingangstüren zu erhaschen. Es warten so viele, hoffentlich kaufen mich nette Menschen, welche mich gut behandeln werden. Noch während ich meinen trüben Gedanken nachhänge, geht plötzlich alles sehr schnell, ich werde unsanft gepackt, zur Kasse getragen und bezahlt. Ich staune nicht schlecht über den hohen Preis und bin mächtig stolz, dass ich so wertvoll bin. Eingequetscht in einen grossen Plastiksack werde ich mit anderen Kolleginnen nach Jegenstorf in ein Tanzatelier gebracht. In ein Tanzatelier! Stellen Sie sich das mal vor. Manchmal wird dort getanzt, das ist spannend und ich schaue glücklich zu, doch meistens ist es langweilig da. Ich frage mich, welches meine neue Aufgabe sein wird. Ich kann jedenfalls nicht tanzen und vom Zuschauen werde ich es auch nicht lernen. Eigentlich möchte ich gerne mittanzen.

Doch noch lieber würde ich in einem Schloss wohnen. Das wäre toll. Es müsste ein romantisches Schloss sein, wie zum Beispiel das Schloss in Jegenstorf. Im wunderschönen Garten sind bei schönem Wetter viele Menschen anzutreffen und ich würde die Besucher auf ihrem Schlossrundgang begleiten. Ich würde im Biedermeier-Zimmer schlafen, dieses Zimmer gefällt mir sehr gut und im Musikzimmer nebenan könnte ich Klavier spielen. Im Grossen Salon würde ich meine Gäste empfangen und grosse Feste feiern. Selbstverständlich würden wir tanzen. Mit der Puppenstube im Kinderzimmer würde ich gerne spielen und im grossen Herkules-Saal könnte ich nach Herzenslust herumtoben. In die Bibliothek würde ich mich zurückziehen, um in Ruhe ein spannendes Buch zu lesen. Stundenlang würde ich durch die verwinkelten Gänge und durch die vielen Räume gehen und vergangene Zeiten vorbeitanzen lassen. Die wunderschönen Möbel, das wertvolle Geschirr, die vielen Bilder und andere Gegenstände würde ich immer wieder bestaunen. Den Turm unter dem Dach würde ich auf jeden Fall erkunden. Ich hätte keine Angst. Denn: Wer glaubt schon an Gespenster? Ich jedenfalls nicht.

So träume ich, bis mich tobender Applaus und laute Musik aus meinen Gedanken zurückholen. Ich staune. Ich stehe auf der Bühne im Schloss Jegenstorf. Nein, ich bin im Schloss Jegenstorf. Nein, ich stehe auf der Bühne der Aula Gyrisberg. Wo bin ich eigentlich? Die Tänzerinnen der Tanzgruppe l’espace sind auch da. Ebenfalls sind die Lichtdesigner der Firma New Light Generation im Einsatz. Und Sie werden es mir vielleicht nicht glauben, aber ich tanze! Ich tanze zur wunderschönen Musik von Johann Strauss, vielleicht kennen Sie das Lied aus der Fledermausquadrille. Mein Traum ist in Erfüllung gegangen. Seither geniesse ich die Ruhe im Atelier l’espace und erhole mich an einem Kleiderhaken. Unter www.lespace.ch können Sie mich kennen lernen.

Karin Bütikofer